CSS Astronomie Praxis Essays Sichtungen FAQ  

  Sucher Tagebuch Fringekiller Astrodenglisch Seitenlink45 Seitenlink46 Seitenlink47 Seitenlink48  

Aus dem Tagebuch eines Sternguckers

Interessierte Gäste

Es ist ein warmer, sonniger Freitag-Nachmittag Anfang Mai. Viele unserer Freunde sind zu Besuch. Einige haben Salate mitgebracht. Wir grillen Steaks auf der Terrasse und essen zusammen. Es herrscht eine wundervolle fröhliche Stimmung.

Gegen Neun Uhr geht die Sonne unter und die Dämmerung setzt ein. Im beginnenden Zwielicht kann man die letzten glühenden Kohlen auf dem Grill glimmen sehen. Die Vögel verstummen allmählich. Die Frauen nehmen ihre Pullover und Westen hervor, während der goldene Streifen am westlichen Horizont immer schmaler wird. Dies ist die Zeit, wo ich immer wieder den Blick nach oben, in den Himmel, richte und nach dem ersten Stern Ausschau halte, der im stetig dunkler werdenden Blau hervorschimmert. Zuerst ist es nur einer, doch zwanzig Minuten später sind es schon so viele, dass ich bereits die ersten Sternbilder erahnen kann.

Da macht es plötzlich „Klack!“ und begleitet vom Applaus der Clique hat einer der Jungs die Terrassenbeleuchtung eingeschaltet. Es tut ganz kurz in den Augen weh, doch dann haben sich meine Pupillen verengt und ich sehe wieder alles normal. Aber das Bild, das ich wahrnehme, unterscheidet sich völlig von dem, was ich vorher sah. Das grelle Licht hat die schöne Stimmung einfach hinweggeflutet und mit ihr auch die Sterne, deren feines Funkeln nun einfach nicht mehr von meinen Augen wahrgenommen werden kann. Aus dem Blau des Himmel ist schlagartig ein tiefes Schwarz geworden. Die Gesichter meiner Freunde sind nun keine blauschattierten Silhouetten mehr, sondern hell beleuchtete Flächen, auf denen jetzt jedes Härchen, jede Hautpore und jede Hautunreinheit deutlich zu sehen ist. Ich scheine der Einzige in der Gruppe zu sein, der all dies bemerkt.

Es dauert etwa eine halbe Stunde, da schwirren zahlreiche Insekten um die Terrassenlampe herum. Ein großer Nachtfalter flattert im Bogen über unseren Tisch und kollidiert mit der Schläfe einer unserer Freundinnen. Sie quiekt laut auf und schlägt hektisch um sich. Der Falter taumelt kurz flügelschwirrend über die weiße Tischdecke, hebt dann wieder ab und rast zielstrebig auf die Terrassenlampe zu, die er von nun an wild umflattert. Meine Frau sagt: „Kommt, wir gehen besser rein. Es wird sowieso allmählich zu kalt.“

Somit geht die lustige und gemütliche Runde drinnen weiter. Gegen Mitternacht sprechen wir über den bevorstehenden Urlaub von Gabi und Herbert. Sie beide freuen sich schon sehr darauf. Plötzlich sagt Gabi: „Tom, du hast doch so ein Horoskop.“ – „Nein.“ sagt Herbert, „Kein Horoskop. Ein Horoskop ist so eine Zukunftsvorhersage, wie sie jeden Tag in der Zeitung steht.“ – „Völlig richtig.“ stelle ich fest und füge hinzu: „Du meinst sicher ein Teleskop.“ – „Ja,“ antwortet sie lachend, „so ein Ding halt, womit man in die Luft gucken kann.“ – „Ja, so eins habe ich in der Tat. Mehrere sogar.“

Während ich mich noch frage, in welchem Zusammenhang Gabis Frage mit dem Urlaub steht, fährt die Gute auch schon fort: „Na, dann müsstest du uns doch sagen können, wie nächste Woche das Wetter wird, wenn wir Urlaub haben.“ – „Ich fürchte,“ entgegne ich, „da hast du etwas falsch verstanden. Ein Teleskop ist nicht zur Wettervorhersage gut, sondern zum Beobachten der Sterne.“ – „Ach so!“ wirft da ein anderer Freund ein. „Dann könntest du dir dein Horoskop also selber machen?“ – „Nein,“ erkläre ich mit der dazu dringend erforderlichen Geduld eines Engels, „dazu braucht man kein Teleskop. Dazu braucht man noch nicht mal Sterne. Mit so etwas befasse ich mich aber auch gar nicht. Ich beobachte ganz einfach das Weltall. Ihr wisst schon: Mond, Planeten, Galaxien und so weiter.“ – „Also, ich finde das schon irgendwie interessant.“ sagt Gabi. „Meinst du, wir könnten heute was sehen?“ – „Ja, bestimmt.“ sage ich erfreut. „Eben war es noch klar. Jupiter ist zur Zeit sichtbar. Ich schließe einfach mal die Sternwarte auf. Wer Lust hat, kann gerne mitkommen.“

Von den sechzehn Gästen kommen Gabi und Herbert sofort mit. Drei weitere Gäste sind sich einig: „Bau schon mal auf! Wir kommen in fünf Minuten raus!“ Sie werden jedoch erst dann an die frische Luft treten, wenn sie nach Hause fahren.

Ich zeige Gabi und Herbert indessen den Planeten Jupiter im Teleskop. „Aha.“ sagt Herbert tonlos, durch das Teleskop blickend. „Interessant.“ Nach drei Sekunden nimmt er sein Auge vom Teleskop und sagt zu Gabi: „Willst du auch mal?“ Gabi zieht ihre Jacke vor dem Bauch zusammen, tritt einen Schritt näher und blickt durch das Teleskop. Ich bemerke, dass sie etwas irritiert dreinblickt. „Was du dort siehst,“ erläutere ich ihr, „ist der größte Planet unseres Sonnensystems. Du müsstest jetzt zwei parallele Bänder auf Jupiter erkennen und vier seiner Monde, die um ihn herum stehen.“ – „Also, ich sehe da nur einen Kreis.“ sagt sie. Als sie wieder aufblickt, schauen beide sich das Teleskop kurz etwas näher an. Herbert ergreift das Wort. „Schön, schön.“ sagt er, und nach einer Pause: „Mehr sieht man da jetzt aber nicht, oder?“ – „Na ja,“ antworte ich, „die Sicht ist sehr gut, das Teleskop erlaubt eine hohe Vergrößerung – eigentlich ist das ein echt starker Anblick heute Nacht.“ Sie nehmen meine Antwort zur Kenntnis, scheinen aber kein großes Interesse daran zu haben, noch einmal durch das Teleskop zu blicken. „Und wie viele Millionen Lichtjahre ist der Jupiter jetzt entfernt?“ fragt Herbert, weil er höflich sein möchte. „Beinahe Null.“ antworte ich. „Jupiter gehört zu unserem Sonnensystem. Dort wird noch lange nicht in Lichtjahren gemessen.“ Schließlich ist es Gabi, die dem Spiel ein Ende bereitet: „Mir ist kalt. Ich geh’ rein.“ – „Jo, ich komm mit.“ sagt Herbert, und im Weggehen versichert er mir: „War aber echt interessant, Tom!“ – Damit eilen sie zurück ins Haus. Als sie die Terrassentür öffnen, höre ich kurz die lauten Stimmen der anderen. Dann fällt die Tür ins Schloss und alles ist wieder still.

Ob mich im Wohnzimmer jemand vermisst? Ich lasse es einfach mal drauf ankommen. Das ist immerhin ein 6,4-mag-Himmel heute Nacht.

 

Home

Kontakt

DSGVO

Impressum