Aus
dem Tagebuch eines Sternguckers
Es
ist ein warmer, sonniger Freitag-Nachmittag Anfang Mai. Viele unserer
Freunde sind zu Besuch. Einige haben Salate mitgebracht. Wir grillen
Steaks auf der Terrasse und essen zusammen. Es herrscht eine wundervolle
fröhliche Stimmung.
Gegen
Neun Uhr geht die Sonne unter und die Dämmerung setzt ein. Im beginnenden
Zwielicht kann man die letzten glühenden Kohlen auf dem Grill glimmen
sehen. Die Vögel verstummen allmählich. Die Frauen nehmen ihre
Pullover und Westen hervor, während der goldene Streifen am westlichen
Horizont immer schmaler wird. Dies ist die Zeit, wo ich immer wieder den
Blick nach oben, in den Himmel, richte und nach dem ersten Stern Ausschau
halte, der im stetig dunkler werdenden Blau hervorschimmert. Zuerst ist
es nur einer, doch zwanzig Minuten später sind es schon so viele, dass
ich bereits die ersten Sternbilder erahnen kann.
Da
macht es plötzlich „Klack!“ und begleitet vom Applaus der Clique
hat einer der Jungs die Terrassenbeleuchtung eingeschaltet. Es tut ganz
kurz in den Augen weh, doch dann haben sich meine Pupillen verengt und
ich sehe wieder alles normal. Aber das Bild, das ich wahrnehme,
unterscheidet sich völlig von dem, was ich vorher sah. Das grelle Licht
hat die schöne Stimmung einfach hinweggeflutet und mit ihr auch die
Sterne, deren feines Funkeln nun einfach nicht mehr von meinen Augen
wahrgenommen werden kann. Aus dem Blau des Himmel ist schlagartig ein
tiefes Schwarz geworden. Die Gesichter meiner Freunde sind nun keine
blauschattierten Silhouetten mehr, sondern hell beleuchtete Flächen,
auf denen jetzt jedes Härchen, jede Hautpore und jede Hautunreinheit
deutlich zu sehen ist. Ich scheine der Einzige in der Gruppe zu sein,
der all dies bemerkt.
Es
dauert etwa eine halbe Stunde, da schwirren zahlreiche Insekten um die
Terrassenlampe herum. Ein großer Nachtfalter flattert im Bogen über unseren
Tisch und kollidiert mit der Schläfe einer unserer Freundinnen. Sie
quiekt laut auf und schlägt hektisch um sich. Der Falter taumelt kurz flügelschwirrend über die weiße Tischdecke, hebt dann wieder ab und
rast zielstrebig auf die Terrassenlampe zu, die er von nun an wild
umflattert. Meine Frau sagt: „Kommt, wir gehen besser rein. Es wird
sowieso allmählich zu kalt.“
Somit
geht die lustige und gemütliche Runde drinnen weiter. Gegen Mitternacht
sprechen wir über den bevorstehenden Urlaub von Gabi und Herbert. Sie
beide freuen sich schon sehr darauf. Plötzlich sagt Gabi: „Tom, du
hast doch so ein Horoskop.“ – „Nein.“ sagt Herbert, „Kein
Horoskop. Ein Horoskop ist so eine Zukunftsvorhersage, wie sie jeden Tag
in der Zeitung steht.“ – „Völlig richtig.“ stelle ich fest und
füge hinzu: „Du meinst sicher ein Teleskop.“ – „Ja,“
antwortet sie lachend, „so ein Ding halt, womit man in die Luft gucken
kann.“ – „Ja, so eins habe ich in der Tat. Mehrere sogar.“
Während
ich mich noch frage, in welchem Zusammenhang Gabis Frage mit dem Urlaub
steht, fährt die Gute auch schon fort: „Na, dann müsstest du uns
doch sagen können, wie nächste Woche das Wetter wird, wenn wir Urlaub
haben.“ – „Ich fürchte,“ entgegne ich, „da hast du etwas
falsch verstanden. Ein Teleskop ist nicht zur Wettervorhersage gut,
sondern zum Beobachten der Sterne.“ – „Ach so!“ wirft da ein
anderer Freund ein. „Dann könntest du dir dein Horoskop also
selber machen?“ – „Nein,“ erkläre ich mit der dazu dringend
erforderlichen Geduld eines Engels, „dazu braucht man kein Teleskop.
Dazu braucht man noch nicht mal Sterne. Mit so etwas befasse ich mich
aber auch gar nicht. Ich beobachte ganz einfach das Weltall. Ihr wisst
schon: Mond, Planeten, Galaxien und so weiter.“ – „Also, ich finde
das schon irgendwie interessant.“ sagt Gabi. „Meinst du, wir könnten
heute was sehen?“ – „Ja, bestimmt.“ sage ich erfreut. „Eben
war es noch klar. Jupiter ist zur Zeit sichtbar. Ich schließe einfach
mal die Sternwarte auf. Wer Lust hat, kann gerne mitkommen.“
Von
den sechzehn Gästen kommen Gabi und Herbert sofort mit. Drei weitere Gäste
sind sich einig: „Bau schon mal auf! Wir kommen in fünf Minuten
raus!“ Sie werden jedoch erst dann an die frische Luft treten, wenn
sie nach Hause fahren.
Ich
zeige Gabi und Herbert indessen den Planeten Jupiter im Teleskop.
„Aha.“ sagt Herbert tonlos, durch das Teleskop blickend.
„Interessant.“ Nach drei Sekunden nimmt er sein Auge vom Teleskop
und sagt zu Gabi: „Willst du auch mal?“ Gabi zieht ihre Jacke vor
dem Bauch zusammen, tritt einen Schritt näher und blickt durch das
Teleskop. Ich bemerke, dass sie etwas irritiert dreinblickt. „Was du
dort siehst,“ erläutere ich ihr, „ist der größte Planet unseres
Sonnensystems. Du müsstest jetzt zwei parallele Bänder auf Jupiter
erkennen und vier seiner Monde, die um ihn herum stehen.“ – „Also,
ich sehe da nur einen Kreis.“ sagt sie. Als sie wieder aufblickt,
schauen beide sich das Teleskop kurz etwas näher an. Herbert ergreift
das Wort. „Schön, schön.“ sagt er, und nach einer Pause: „Mehr
sieht man da jetzt aber nicht, oder?“ – „Na ja,“ antworte ich,
„die Sicht ist sehr gut, das Teleskop erlaubt eine hohe Vergrößerung
– eigentlich ist das ein echt starker Anblick heute Nacht.“ Sie
nehmen meine Antwort zur Kenntnis, scheinen aber kein großes Interesse
daran zu haben, noch einmal durch das Teleskop zu blicken. „Und wie
viele Millionen Lichtjahre ist der Jupiter jetzt entfernt?“ fragt
Herbert, weil er höflich sein möchte. „Beinahe Null.“ antworte
ich. „Jupiter gehört zu unserem Sonnensystem. Dort wird noch lange
nicht in Lichtjahren gemessen.“ Schließlich ist es Gabi, die dem
Spiel ein Ende bereitet: „Mir ist kalt. Ich geh’ rein.“ – „Jo,
ich komm mit.“ sagt Herbert, und im Weggehen versichert er mir: „War
aber echt interessant, Tom!“ – Damit eilen sie zurück ins Haus. Als
sie die Terrassentür öffnen, höre ich kurz die lauten Stimmen der
anderen. Dann fällt die Tür ins Schloss und alles ist wieder still.
Ob
mich im Wohnzimmer jemand vermisst? Ich lasse es einfach mal drauf
ankommen. Das ist immerhin ein 6,4-mag-Himmel heute Nacht. |